Chapter Text
Max hat seine Schlafzimmertür extra nur angelehnt, damit er Landos Ankunft auf keinen Fall verpasst. Er wirft einen fragenden Blick in Richtung Uhr über der Tür. Der Schlüssel seines besten Freundes müsste sich jetzt jederzeit im Schloss drehen, immerhin ist er vor etwas mehr als vier Stunden losgefahren. Und von Bristol bis nach London braucht man im Durchschnitt drei Stunden – behauptet zu mindestens Google.
Abwartend starrt er den Startbildschirm von Call of Duty an. Max startet keine neue Runde, weil er spürt, dass sich das nicht lohnt.
Kurz darauf hört er Lando schon im Hausflur poltern und sich selbst beschimpfen, als ihm vor der Tür der Schlüssel runterfällt. Max grinst über Landos Schusseligkeit.
Lando zieht sich im Flur die Schuhe aus und kickt sie quer durch den Raum, wirft seine Jacke achtlos auf den Boden, wie immer. In ihrer WG gibt es weder eine Garderobe noch ein Schuhregal. Der Flur ist ohnehin viel zu schmal dafür und deswegen auch komplett leer - bis auf den Wäscheständer, der neben der Tür an der Wand lehnt, aber jetzt eher selten genutzt wird, weil es im Waschkeller seit neustem Trockner gibt.
Lando stößt die Tür zu Max‘ Schlafzimmer mit dem Fuß auf.
Max grinst ihn an. »Na, hast du mich vermisst?«
Lando schnaubt und fährt sich mit gespreizten Fingern durch die braunen Locken. »Ich konnte an nichts anderes denken. Vor allem, weil du alle zwei Minuten eine neue nervige Nachricht geschickt hast! Ich bin mir ziemlich sicher keinen Newsletter deines Lebens abonniert zu haben, bevor ich gefahren bin.«
Max lacht und Lando grinst jetzt auch, dann wird seine Miene wieder ernst. »Hast du gekocht? Ich hab‘ scheiße Hunger. Scheiß Stau und scheiß Londoner Verkehr!«
Sie haben beide einen ziemlich unstetigen Essensrhythmus. Lando trifft man selten ohne etwas zu Essen in der Hand an und Max reicht meistens eine Mahlzeit am Tag. Die restliche Energie zieht er aus seiner ungesunden Koffeinsucht, die er mit Red Bull und schwarzem Kaffee deckt.
»Es ist noch Pizza von gestern da, steht auf dem Herd.«
»Thunfisch?«, erkundigt sich Lando und verzieht Performer das Gesicht.
Max weiß, dass Lando Fisch und alles anderes was aus dem Meer kommt, nicht auf seinem Teller haben will. Manchmal, wenn er ihn wirklich ärgern will, bestellt Max deswegen Thunfischpizza oder Nudeln mit Meeresfrüchten.
»Nein, Hawaii.«
Landos angeekelter Gesichtsausdruck bleibt. »Obst gehört nicht auf Pizza!«
Und Max verdreht die Augen. »Dann sammel‘ sie runter oder bestell‘ dir dein eigenes Essen.«
Lando macht auf dem Absatz kehrt ohne Max zu antworten und taucht ein paar Sekunden später mit einem Stück Pizza wieder im Türrahmen auf.
Max wirft ihm einen warnenden Blick zu. »Wehe du kleckerst, ich hab‘ gestern erst gesaugt und gewischt!«
Lando beeindruckt das nicht ansatzweise. »Ach, deswegen hast du gestern mal zwei Stunden Ruhe gegeben?! Dieses Mal hast du es ja bloß drei Wochen aufgeschoben, kein neuer Rekord, oder?«
Am liebsten würde er eins von seinen Kissen nach Lando schmeißen, aber er wollte seinen Erfolg von gestern nicht gleich wieder damit versauen, dass Pizza auf dem Laminat landet. Deswegen unterdrückt er das Verlangen.
Lando und Max hassen putzen und aufräumen mehr als alles andere. Der Putzplan am Kühlschrank ist auch mehr eine provisorische Empfehlung und wird von beiden entweder als Drohmittel oder Erpressungsmaterial genutzt. Er ist auch erst wieder ein Problem, seitdem Max mit seiner Freundin schlussgemacht hat. Denn für sie war es eine Lebensaufgabe, dass Chaos der Jungs zu beseitigen. Seit sie nicht mehr da ist, machen Lando und er einen Wettkampf daraus, wer seine Aufgaben am längsten hinausschieben kann, bis der andere einen darauf aufmerksam macht. Gewinnen tut der, der den Rekord vom letzten Mal bricht. Verlieren tut der, der seine Aufgabe zu früh erledigt und wenn ein Besucher auf Dreck aufmerksam macht, gibt es unentschieden und sie legen peinlich berührt einen Putzmarathon ein.
Lando knabbert sich in Lichtgeschwindigkeit bis zum Rand, dann geht er auf Max zu, der ihm die Hand schon hinhält. Lando mag den Pizzarand nicht und Max isst immer seine Reste.
Lando klettert über Max auf die andere Seite des Bettes und angelt sich seinen eigenen Playstation-Controller vom Nachttisch, der nur dort liegt, weil sie kein Wohnzimmer haben und meistens in Max‘ Zimmer spielen, weil der Fernseher und das Bett hier größer sind.
»Spielen wir Fifa? Ich warte noch auf meine Revanche von letzter Woche!«, fordert der Brite, obwohl ihm klar sein muss, dass er eh wieder verliert.
Max nickt, während er das letzte Stück Pizzarand runterschluckt, seinen Controller von der Bettdecke aufsammelt und das Spiel wechselt.
Max und Lando haben sich vor ein paar Jahren beim Onlinespielen kennengelernt. Max kennt den Namen des Spiels nicht mehr. Es war irgendein Ego-Shooter. Aber er weiß noch ganz genau, dass sie zusammen in einem Team waren und irgendwann mehr Spaß daran hatten sich gegenseitig abzuknallen, statt die Gegner zu eliminieren. Sie haben Verstecken auf der interaktiven Karte gespielt, stundenlang, und sich durch Ihre Headsets gegenseitig angeschrien, wenn einer den anderen gefunden hatte.
Max ist zwei Jahre älter als Lando und könnte mit seinem Studium schon fast fertig sein. Aber bei ihm hat es etwas länger gedauert, bis er sich überhaupt zum Studieren durchringen konnte. Die Mentalität in den Niederlanden, seiner Heimat, ist eben eine andere. Außerdem wollte er nicht länger als nötig an den gleichen Ort gefesselt sein, in dem auch sein Vater lebt. Als Lando ihm geschrieben hat, dass er im Herbst ein Studium in London anfängt, hat Max nicht lange überlegt, sich angemeldet und seine sieben Sachen gepackt.
Sich bei Lando einzunisten sollte nur eine Übergangslösung sein, aber London und bezahlbarer Wohnraum passen genauso wenig in einen Satz, wie richtiger Sommer am Nordpol. Das Lando, ohne zu zögern, sein Wohnzimmer für ihn aufgegeben hatte, war eine Geste wahrer Freundschaft. Das letzte Andenken daran steht in Form eines ziemlich unbequemen, braunen Sofas in der Küche.
»Wie war‘s eigentlich bei deinen Eltern?«, fragt Max neugierig, während sie ihre Mannschaften auswählen.
»Ganz okay«, antwortet Lando kurz angebunden.
Max wirft ihm einen fragenden Seitenblick zu. Normalerweise redet Lando nach einem Familienwochenende bis mindestens Montagabend von nichts anderem. Damit versucht er sein Heimweh zu überspielen. Max hört die Geschichten gerne und beneidet Lando um die enge Bindung zu seiner Familie. Manchmal stellt er sich dann auch vor, wie seine Kindheit wohl gewesen wäre, wenn seine Eltern nicht so streng und unterkühlt wären. Vielleicht hätte er sich dann nicht in die heile Welt seiner Videospiele geflüchtet oder wäre zum Studieren nicht abgehauen, um möglichst viel Abstand zu gewinnen.
Max startet die Partie, ohne weiter nachzufragen. Er denkt sich, Lando wird schon von sich aus erzählen, wenn etwas vorgefallen ist.
Aber Lando sagt gar nichts und spielt noch schlechter Fifa als sonst. Als wäre er mit seinen Gedanken ganz woanders.
Max guckt sich das genau zwei Runden an, die er beide haushoch gewinnt, bevor er das Spiel pausiert und seinen Controller aufs Bett fallen lässt.
»Du bist komisch! Was ist passiert? Hast du dich mit deinen Eltern gestritten? Oder deinen Geschwistern?«, fragt er, während er sich seitlich hinsetzt, sodass er Lando richtig ansehen kann.
»Es ist alles in Ordnung«, entgegnet sein bester Freund, aber man hört sofort, dass das nicht stimmt. Dafür muss man kein Experte in Landoanisch sein. Manchmal eine ziemlich komplizierte Sprache, findet Max. Denn Lando hat das Talent dazu, erst mit der Sprache herauszurücken, wenn Max kurz vor einem Tobsuchtsanfall steht.
»Liegt es dann an mir? Habe ich irgendetwas gemacht?«, fragt Max verwirrt.
Lando wirft ihm einen kurzen Blick zu und Max denkt, er hätte mit seiner Vermutung voll ins Schwarze getroffen.
Der Niederländer seufzt. »Okay, was habe ich gemacht? Ich bin zwar der festen Überzeugung, dass ich seit Semesterbeginn absolut obernett zu dir war und gar nicht so sarkastisch wie sonst immer. Aber wenn ich es mit irgendetwas übertrieben hab‘, dann tut’s mir jetzt schon leid, okay?!«
Lando sieht ihn an, als hätte er nicht mehr alle Tassen im Schrank. »Du entschuldigst dich freiwillig für etwas, ohne zu wissen für was? Bist du krank?«
Lando hat recht, dieses Verhalten ist ziemlich untypisch für Max. Wenn man ihn für gewöhnlich auf einen Fehler aufmerksam macht und ihm sagt, dass eine Entschuldigung angebracht wäre, kann man froh sein, wenn Max einem dafür nicht noch einen blöden Spruch drückt. Charles, ein Freund und Kommilitone von Lando, kann Lieder davon singen. Max und er geraten ständig aneinander.
Max schnaubt. »Ich hab‘ beschlossen sozialer zu werden. Immerhin studiere ich Sozialpädagogik. Ich kann die Kinder später ja nicht ständig beleidigen, wenn sie irgendetwas falsch machen.« - als wäre das eine gute Begründung.
Lando verdreht die Augen. »Ich sag‘ dir seit Jahren, dass du dich nicht wundern brauchst, dass alle Angst vor dir haben, so wie du mit ihnen umgehst. Schön, dass du auch mal auf mich hörst!«
Max schnalzt selbstgefällig mit der Zunge. »Tja, mit dem Alter kommt die Weisheit.«
Lando schmeißt ihm ein Kissen ins Gesicht. »Du bist so bescheuert!«
»Hab‘ ich mir alles von dir abgeschaut«, entgegnet Max und grinst.
Lando schnappt sich das Kissen von Max’ Schoß nochmal und schmeißt ihn wieder damit ab. Dann fangen sie beide an zu lachen. Aber nur kurz, bevor Max wieder ernst wird.
»Sagst du mir jetzt, warum du so komisch drauf bist?« - Er rutscht ein Stück näher an Lando heran.
Lando rümpft nachdenklich die Nase. Das macht er immer, wenn er nicht weiß, wie er sich ausdrücken soll. »Mir ist vielleicht etwas rausgerutscht, was ich nicht hätte sagen sollen!«
Max ahnt schlimmes. Im Streit hat er zu seinen Eltern oder seiner Schwester auch schon manchmal Dinge gesagt, die er danach lieber ungesagt gemacht hätte. Vor allem, weil das Echo unerträglich gewesen war.
Max legt Lando freundschaftliche eine Hand auf die Schulter. »Was ist passiert?«
Lando atmet tief ein. »Keine Ahnung, es ging alles so schnell gestern Abend. Oliver war auch da und Mum und er haben die ganze Zeit über seine Freundin gesprochen. Dann hat Flo von diesem Jungen angefangen, mit dem sie nächste Woche ausgeht und Cisca hat von einem ihrer Klassenkameraden geschwärmt und dann hat Dad gesagt ‘dann müssen wir jetzt ja nur noch Lando unter die Haube kriegen‘ und alle haben gelacht und mich gefragt, ob ich überhaupt schon mal einen Freund hatte und Oliver hat gemeint, ich würde alleine mit 20 Katzen sterben. Dann hat Dad von seiner Zeit an der Uni erzählt und, dass er damals nichts hat anbrennen lassen und ich war so sauer, weil sie sich die ganze Zeit über mich lustig gemacht haben, da ist es mir einfach rausgerutscht!«
Max blickt nicht ganz durch. Er zieht verwirrt die Augenbrauen zusammen. »Dir ist was rausgerutscht?«
Lando wird feuerrot im Gesicht, als würde ihm jetzt erst richtig bewusstwerden, was er zu seiner Familie gesagt hat. Max ist sich plötzlich nicht mehr sicher, ob er überhaupt wissen will, was passiert ist.
Lando schweigt beharrlich. Max macht das verrückt. Er zieht die Hand von Landos Schulter weg und sieht ihn eindringlich an, als er langsam fragt: »Was hast du zu deiner Familie gesagt?«
Lando versucht sich an einem schiefen Grinsen, was Max normalerweise immer besänftigt, aber heute macht das alles nur noch schlimmer.
»Ganz vielleicht hab‘ ich ihnen gesagt, dass du mein fester Freund bist!«, gesteht Lando schüchtern.
Max klappt die Kinnlade runter. Für einen Moment glaubt er sich verhört zu haben. Aber dann macht es Klick und dieses Mal ist er es der ein Kissen schmeißt. Jedoch mit deutlich mehr Wucht als Lando.
»Hast du nicht mehr alle Latten am Zaun?« - mehr fällt dem Niederländer dazu im Moment nicht ein.
Lando versucht sich an einem entschuldigenden Lächeln und hebt beschwichtigend die Hände. »Tut mir leid, es ist mir rausgerutscht und mir ist auf die Schnelle niemand anderes eingefallen! Ich wollte doch nur, dass sie einmal die Klappe halten und mich nicht so ansehen, als wäre ich im Kloster besser aufgehoben!«
»Warum hast du dir dann nicht einfach irgendjemanden ausgedacht?«
Lando lacht und klingt beinahe hysterisch. »Das hätten die mir niemals geglaubt und spätestens zu meinem Geburtstag wäre das aufgeflogen. Die würden mir das ewig vorhalten! Wenn ich irgendwann heirate, wäre das Teil von Olivers Rede und Obergesprächsthema bei jeder Familienfeier bis ich sterbe! Nur über meine Leiche, eher wandere ich aus!«
Bei der Erwähnung von Landos Geburtstag, wird Max hellhörig. Der ist erst in fünf Wochen. Kein Grund sich darüber jetzt schon Gedanken zu machen, findet Max. Es sei denn –
»Was ist dir noch so rausgerutscht?«, hakt Max nach und blinzelt mordlustig.
Lando schweigt, aber seine Wangen werden noch ein paar Nuancen röter und Max überlegt bereits, wo er Lando am besten verbuddeln kann, damit ihn niemand jemals wiederfindet.
»Lando, ich schwöre bei Gott, wenn du nicht sofort redest, erlebst du den morgigen Tag nicht!«
Lando senkt den Blick. »Meine Familie erwartet, dass du mich an meinem Geburtstag begleitest, weil sie denken, dass wir schon ein halbes Jahr zusammen sind!«
Max starrt seinen besten Freund fassungslos an. »Was kommt als nächstes? Willst du an deinem Geburtstag unsere Verlobung bekannt geben oder denken deine Eltern, wir hätten schon heimlich in Las Vegas geheiratet?«
»Es tut mir leid, ich hab‘ nicht nachgedacht!«
Max schnaubt. »Tust du das überhaupt jemals? Manchmal frag‘ ich mich wofür du ein Gehirn hast beziehungsweise, ob du überhaupt eins hast!«
Lando verzieht angegriffen das Gesicht. »Wolltest du nicht netter zu anderen werden?«
Max bemüht sich um einen schuldbewussten Blick und den dazu passenden Ton als er sagt: »Oh, sorry, war meine Ausdrucksweise zu hart?«
Lando zögert und nickt dann verunsichert. »Ein wenig.«
Max‘ Gesicht wird sofort wieder ernst. »Tja, Pech gehabt! Du kannst froh sein, dass ich dich nicht mit deinem Controller erschlagen hab‘ für deine filmreife Dummheit!«, keift er bissig und verschränkt trotzig die Arme vor der Brust.
Er erwartet, dass Lando sich entschuldigt und verspricht, seinen Eltern gleich morgen früh die Wahrheit zu erzählen. Denn Max mag Landos Eltern. Er will nicht irgendwann als Vollidiot dastehen, weil Lando sie beide noch tiefer in die Scheiße zieht. Am Ende reiten sie hier ein, mit Fackeln und Mistgabeln und werfen ihn aus Landos Wohnung, weil sie denken, Max hat ihrem Sohn das Herz gebrochen.
»Es ist doch nur für ein Wochenende, bitte! Nur an meinem Geburtstag und danach sage ich ihnen sofort die Wahrheit!«
»Versuchst du gerade ernsthaft mich zu überzeugen, bei diesem Schwachsinn mitzumachen?« - es ist eine rhetorische Frage, dass weiß Max. Lando hat ihm die Antwort darauf bereits gegeben.
Weil Lando weiß, dass er Max verbal kilometerweit unterlegen ist, setzt er den Hundeblick auf. Max hasst diese Taktik, weil er nicht weiß, wie er sich gegen die vorgeschobene Unterlippe und die rausgeschraubten blaugrauen Augen wehren soll.
»Hör auch mich so anzuschauen, das zieht nicht!«, sagt Max ernst und drückt mit der flachen Hand Landos Kopf in eine andere Richtung, damit er den bettelnden Augen nicht länger schutzlos ausgeliefert ist.
»Bitte?«, versucht Lando es nochmal.
Max schüttelt den Kopf.
Lando seufzt schwer. Ein Seufzen, dass Max direkt ins Herz geht und an seiner Entschlossenheit nagt. Er war noch nie gut darin, Lando Dinge abzuschlagen.
»Sage ihnen doch einfach, dass sie aufhören sollen dich aufzuziehen! Wir reden hier von deiner Familie, sie werden bestimmt aufhören, wenn du ihnen sagst, dass sie dich damit verletzen!«, versucht Max es aus die pädagogische Art.
Lando stöhnt genervt. »Die Blicke sind noch viel schlimmer als das Gerede! Dad sieht mich immer so an, als würde etwas nicht mit mir stimmen. Und Mum… Ich glaube, wenn sie könnte, würde sie mich bei irgendeiner Dating-Show oder so anmelden! Du weißt nicht, wie das ist, wenn alle um dich herum glücklich vergeben sind und dich immer als drittes Rad am Wagen mitschleifen.«
Entgegen Landos Vermutung, kennt Max dieses Gefühl sehr wohl. In seinem Freundeskreis in den Niederlanden, war er immer der Typ ohne Freundin gewesen. Dafür wurde er belächelt oder offen ausgelacht. Dabei hat er es nur gut gemeint, denn kein Mädchen wäre den Erwartungen seiner Familie gerecht geworden und er wollte niemanden dieser Feindseligkeit aussetzen. Mittlerweile ist es Max egal, was seine Eltern von seinen Freundinnen halten.
Und die Mädchen in England sind ziemlich leicht zu beeindrucken. Max hat schon unzählige Dates damit zugebracht, den Mädchen Komplimente auf niederländisch zuzuflüstern, damit sie kichernd versuchen zu erraten, was er gesagt hat. So ist Max in einem Jahr zu vier Freundinnen gekommen. Aber keine Beziehung hat lange gehalten. Sobald von Liebe die Rede war, hat Max kalte Füße bekommen und sich getrennt. Manchmal denkt er, er hat ein ernsthaftes Bindungsproblem. Bis die nächste Freundin daher kommt und er wieder denkt, dieses Mal könnte es etwas wirklich Ernstes werden.
Lando seufzt. »Ich will sie einmal überraschen, mit etwas, dass sie nicht erwartet haben. Und ich will, dass Flo, Cisca und Oli vor Neid erblassen, weil mein Freund besser aussieht, als deren Partner!« - er wackelt anzüglich mit den Augenbrauen.
Um ehrlich zu sein, ist Max schon seit dem Hundeblick geschlagen. Jetzt geht es nur noch darum, dass Beste aus ihrem Deal herauszuholen.
»Wenn ich mitspiele, machst du drei Monate den Putzdienst! Ohne Wettkampf, ohne aufschieben und ohne, dass ich dich daran erinnern muss!«
Landos Augen glänzen aufgeregt und er will Max schon dankbar um den Hals fallen, aber der Niederländer hebt die Hand und hält den Briten zurück.
»Nur für deinen Geburtstag, keinen Tag länger! Du sagst deinen Eltern am Sonntagabend, bevor wir abhauen die Wahrheit! Und wehe du bittest mich danach jemals wieder um so einen Schwachsinn!«
Dann lässt er zu, dass Lando ihm um den Hals fällt und ihm ins Ohr flüstert: »Danke Max, du bist der Beste!«
Max brummt zustimmend und ahnt, dass er sich gerade sein eigenes Grab geschaufelt hat.
Chapter Text
Max ist am Montagabend der erste, der nachhause kommt und geradewegs in Landos Chaos hineinstolpert. Vom Bad zu seinem Zimmer liegt eine Spur aus Klamotten. Lando hat die Angewohnheit, sich schon auf dem Weg zur Dusche auszuziehen und seine Kleidung im ganzen Flur zu verstreuen.
Max verdreht die Augen, hängt seine Jacke an den Türknauf und stellt seine Schuhe neben die Tür. Dann steigt er über Landos Wäsche hinweg und bekommt in seinem Zimmer fast eine Herzattacke. Seine Schranktüren stehen sperrangelweit offen und irgendwie sieht alles durchwühlt und noch unordentlicher aus, als sonst.
Max lässt seine Tasche auf sein Bett fallen und stopft anschließend die sauberen Pullis und Hosen vor seinem Schrank zurück ins Innere davon. Lando bedient sich im Herbst und Winter regelmäßig an Max‘ Klamotten. Weil der eine Konfektionsgröße größer trägt und Lando, die Frostbeule, bei unter 10 °C das Haus nur mit mindestens drei Lagen Oberkörperbekleidung, plus Reserve Pullover, verlässt. Max sieht die Waschmaschine im Keller im Winter öfters, als all seine Professoren zusammen.
Auf dem Weg in die Küche sammelt er augenverdrehend Landos Klamotten ein und schmeißt sie in die Wäscheecke in dessen Zimmer. Der Haufen hinter der Tür reicht Max bereits bis zum Oberschenkel.
Max holt eine Dose Red Bull aus dem Kühlschrank und betrachtet nachdenklich den Rest Lebensmittel darin. Er hat Hunger und Lando bestimmt sowieso, wenn der später nachhause kommt. Aber die kläglichen Reste reichen für gar nichts und sie können nicht schon wieder Essen bestellen.
Er wünschte, er hätte heute morgen genauer hingesehen, als er die Milch für sein Müsli aus dem Kühlschrank geholt hatte. Dann hätte er nach der Uni einen Abstecher in den Supermarkt gemacht.
Max langt in die Schlüsselschüssel auf dem Kühlschrank und tastet nach dem Autoschlüssel. Er ist nicht da. Max stöhnt genervt und zieht sein Handy aus der Hosentasche.
Lando und Max teilen sich ein Auto, weil keiner genug Geld für ein Eigenes hat.
Die beiden genießen eine ganze Menge Privilegien, die viele andere Studenten nicht kennen. Ihre Eltern zahlen die Miete und andere Rechnungen für die Wohnung, zusätzlich zu den Semesterbeiträgen. Außerdem bekommt jeder von ihnen 500 Pfund im Monat, um sich zu verpflegen. Deswegen müssen Lando und Max sich keinen Studentenjob suchen und können sich voll und ganz auf ihr Studium konzentrieren. Etwas, dass ihren Eltern sehr wichtig ist. Ein Auto gehört für ihre Eltern nicht zwingend zu den wichtigen Dingen dazu.
Deswegen hat Max sein Erspartes angefasst und einen gebrauchten VW Golf gekauft. Für alles weitere steht auf dem Kühlschrank, direkt neben der Schlüsselschüssel, ein Glas, in das Max und Lando jeden Monat Geld schmeißen. Für Sprit, Versicherung und alles weitere.
Während Max Lando über WhatsApp fragt, wo er ist und wie lange er noch braucht, überlegt er Landos Anteil an den Kosten zu erhöhen. Denn der nutzt das Auto mehr als Max. Und immer, wenn der Niederländer es mal gebrauchen könnte, ist es weg. Weil Lando in der Früh nicht schnell genug aus dem Bett kommt, um mit Bus und Bahn pünktlich in die Uni zu kommen oder zu faul ist die zehn Minuten zu George und Alex zu laufen.
Lando antwortet Max ziemlich schnell, dass er bei Charles ist und in circa zehn Minuten losfahren wird.
Max überlegt kurz, ob er danach selbst noch einkaufen gehen will oder ob er Lando schickt. Obwohl Lando einkaufen schicken nicht selten in einer Katastrophe endet. Entweder er vergisst die Hälfte oder – und das findet Max noch schlimmer – er behauptet von jeder zweiten Sache, dass es sie nicht gab, nur weil er zu faul ist zu suchen oder sich nicht auskennt und zu schüchtern ist, um einen Angestellten zu fragen.
Max ist sich noch nicht sicher, was er macht, deswegen ruft er Lando an, um sich noch ein wenig mehr Zeit zu verschaffen.
»Was gibt’s Maxy? Wir lernen und du lenkst mich ab!«
»Nenn‘ mich nicht Maxy!« - der Niederländer stöhnt genervt - »Der Kühlschrank ist leer und du hast das Auto.«
»Oh, nein, nein, nein, nein!«, jammert Lando, der sofort weiß, was ihm blüht. »Tu mir das nicht an, nicht heute. Der Tag war Horror, eine absolute Katastrophe! Bitte schick‘ mich jetzt nicht noch einkaufen. Bitte, ich mach‘ auch alles was du willst!«
»Das ist nicht mein Problem und du bist eh unterwegs. Außerdem war ich das letzte Mal!«
Lando macht ein weinerliches Geräusch, dann ist es kurz still, bevor er mit der Zunge schnalzt. »Okay, pass‘ auf: Ich bringe nachher was von Subways mit und morgen kannst du das Auto nehmen, dann kannst du nach deinen Vorlesungen einkaufen gehen! Deal?« - Max kann sich Landos Blick bildlich vorstellen. Es ist nicht der Hundeblick, sondern eine Mischung aus einem selbstsicheren Grinsen und einer Grimasse. Das setzt Lando immer auf, wenn er denkt, er hat eine sensationelle Idee, der man einfach zustimmen muss. Eigentlich versucht er sich nur aus der Affäre zu ziehen. Deswegen hasst Max dieses Gesicht genauso sehr wie den Hundeblick. Weil er auch hier immer den Kürzeren zieht.
Max denkt nach. Wenn er ablehnt und Lando einkaufen schickt, muss er damit rechnen, dass sie danach trotzdem nichts zu essen im Haus haben. Denn er traut dem Briten zu, dass er einfach an jedem Supermarkt vorbeifährt, nur um später zu behaupten, er wäre an keinem vorbeigekommen. Dann muss Max heute doch nochmal los. Darauf hat er noch weniger Lust, als auf Subways.
»Du bist scheiße faul, weißt du das?«, brummt er und stöhnt wieder genervt.
»Das ist eins der schönsten Komplimente, dass du mir jemals gemacht hast!« - Lando kichert ins Mikrofon - »Schreib‘ mir, was du haben willst. Hab‘ dich lieb, bis später!«
Lando legt auf, bevor Max etwas erwidern kann.
Max blinzelt sein Handy ein paar Sekunden verwirrt an. Es fühlt sich irgendwie an, als hätte Lando ihn gerade über den Tisch gezogen.
Während Max zurück in sein Zimmer geht, schreibt er Lando seinen Essenswunsch. Sie essen so oft bei Subways, dass sie beide die Speisekarte in- und auswendig kennen. Max hat manchmal das Gefühl, in London gehört Subways neben Nudeln mit Ketchup, zum regulären Speiseplan eines Studenten. Zum einem, weil es billig ist, zum anderen, weil die meisten nicht kochen können oder zu faul dafür sind.
Lando antwortet ihm mit drei orangenen Herzen und ist dann sofort wieder offline. Ein Zeichen dafür, dass er wirklich lernt.
Max verschlägt es zurück in sein Zimmer, wo ihm sein eigener Wäscheberg vor dem Bett ins Auge fällt. Im Gegensatz zu Lando schafft er es aber wenigstens, die Sachen gleich in seinen Wäschekorb zu schmeißen.
Max steckt sein Handy in die eine Hosentasche, seinen Schlüssel in die andere. Dann drapiert er seine Dose Red Bull so zwischen seinen dreckigen Hosen und Shirts, dass sie nicht umfallen kann, bevor er sich auf den Weg in den Waschkeller macht.
Er kommt sich vor wie eine Hausfrau und fühlt sich dabei nicht besonders sexy. Vor allem, als ihm die Nachbarin aus dem Dachgeschoss entgegenkommt und ihn angrinst. Max hat schon öfters mit dem Gedanken gespielt, sie nach einem Date zu fragen. Aber irgendwie macht sie nicht den Eindruck, als ob sie wirkliches Interesse daran hätte. Deswegen versucht er freundlich zurück zu lächeln und drängelt sich danach schnell an ihr vorbei.
Die Waschküche ist leer und still. Max traut sich, zwei Waschmaschinen in Beschlag zu nehmen und helles und dunkles getrennt, gleichzeitig zu waschen. Er wählt das Kurzprogramm und beschließt, die halbe Stunde gleich unten zu bleiben. Lando wird eh noch eine Weile brauchen, weil er immer trödelt.
* * *
Nachdem er seine Wäsche in den Trockner geschmissen hat, geht Max wieder nach oben und wundert sich nicht darüber, dass Lando bereits grinsend am Küchentisch sitzt und Max‘ FC Chelsea Pullover trägt. Max fällt auf, dass er den Pullover schon seit ein paar Wochen nicht mehr gesehen hat. Jetzt weiß er auch warum.
»Du weißt schon das der Sinn von ausborgen ist, die Dinge auch irgendwann zurückzugeben?«
Lando nickt. »Ja, weiß ich.«
Max bezweifelt das ernsthaft, reitet aber nicht weiter auf dem Thema herum. Er plant, sich seinen Lieblingspullover irgendwann zurück zu klauen und dann irgendwo zu verstecken, wo Lando ihn definitiv nicht wiederfindet.
Während Lando vom Stuhl auf das Sofa umzieht und Netflix auf seinem Laptop öffnet, holt Max Cola aus dem Kühlschrank und zwei Gläser aus dem Schrank über der Spüle.
»Was schauen wir?«, fragt Lando aufgeschlossen.
Seine Liste an Lieblingsserien und -filmen ist beachtlich kurz. Deswegen ist er immer offen für neues. Außer Horrorfilme. Die braucht Max nicht mal in Erwägung ziehen. Lando bekommt schon bei der Erwähnung des Filmtitels Angst und Gänsehaut am ganzen Körper.
Max zuckt mit den Schultern und schiebt Lando sein Essen zu. »Transporter? Stirb langsam? Terminator?«
Er wirft Lando einen flüchtigen Seitenblick zu. Der Brite ist von den Filmvorschlägen nicht sonderlich begeistert.
»Oder doch lieber Disney, du Angsthase?«, neckt er Lando.
Lando verzieht beleidigt das Gesicht und streckt Max die Zunge heraus, bevor er auf den erstbesten Film klickt, der ihm vorgeschlagen wird. Es ist zum Glück kein Horrorfilm, sondern eine Romantische Komödie. Nicht unbedingt Max Lieblings Genre, aber erst ist so oder so mehr mit seinem Sandwich beschäftigt.
Sie schweigen während des Essens weitestgehend. Max gibt nur ab und zu ein Kommentar zur realitätsfernen Handlung ab, die Lando aber immer wieder mit lauten Shh‘s unterbindet. Max hat das Gefühl, es fehlt nicht mehr viel und Lando weint, weil er so mitgerissen vom Geschehen ist.
Aber dann, kurz vor dem hervorsehbaren, hochromantischen Ende, klingelt plötzlich Landos Handy. Lando pausiert den Film und runzelt die Stirn über den Namen des Anrufers, den Max nicht sehen kann.
Lando hält sich das Handy ans Ohr und seufzt schwer, bevor er sagt: »Was gibt’s George?«
Lando beginnt Telefonate immer mit einem Seufzen, wenn er schon vorher davon genervt ist, dass er überhaupt angerufen wird. Etwas, dass er sich von Max angewöhnt hat.
Max versteht nicht was George sagt, aber kann an Landos Gesicht sehen, dass es sich hier nicht um den üblichen „Hey, wie geht’s dir?“-Anruf handelt. Lando bekommt schon nach ein paar Sätzen dunkelrote Wangen und fängt an auf seiner Unterlippe herumzukauen, als wäre sie ein Teil seines Sandwiches.
Max ahnt schlimmes. Vor allem weil George redet und redet und Lando gar nicht zu Wort kommen lässt. Das ist nicht unüblich für die Labbertasche, aber nie ein gutes Zeichen.
George und Lando kennen sich schon aus Schulzeiten. George ist auch derjenige, der Lando in die wundersame Welt des Online-Gamings eingeführt hat. Max verdankt es ihm also, dass er Lando kennengelernt hat. Obwohl Max sich nicht immer sicher ist, ob man da wirklich von Dankbarkeit sprechen kann. Manchmal kommt es ihm so vor, als hätte George nur nach einem anderen Babysitter für Lando gesucht.
George war es auch, der Lando dazu überredet hat, mit ihm und Alex – einem weiteren Freund der beiden – in London zu studieren und nicht einsam in Bristol zu versauern. Aber als der Vorschlag aufkam mit den beiden gemeinsam in eine Wohnung zu ziehen, hatte Lando dankend abgelehnt. Das wäre ihm zu viel Nähe, hatte er Max mal erklärt.
George, Alex und Lando sehen sich in der Universität nicht ganz so oft, weil sie alle verschiedene Fächer studieren und Lando seine Pause meistens mit Charles oder Max verbringt. Max sieht Landos Freunde in manchen Wochen öfters als Lando, weil Pierre – Max Kommilitone und zweit bester Freund - bei den beiden wohnt. Auch ein komischer Zufall, über den Max noch nie weiter nachgedacht hat.
Nach so einer Woche ohne viel persönlichen Kontakt ist Georges Anruf so sicher wie das Amen in der Kirche. Weil George lieber telefoniert als zu schreiben. Es gibt Smalltalk und dann wird ein Treffen ausgemacht. Normalerweise nichts, dass länger als fünf Minuten dauert oder Lando so aussehen lässt, als würde er sich am liebsten übergeben.
Lando wirft Max einen kurzen Blick zu, während George am anderen Ende der Leitung noch immer über irgendetwas referiert, als würde er sich auf eine mündliche Prüfung vorbereiten.
Max runzelt die Stirn und boxt Lando sanft gegen die Schulter, um seine Aufmerksamkeit zu bekommen. Dann bedeutet er seinem besten Freund mit einer simplen Handgeste, den Lautsprecher anzumachen, damit Max mithören kann.
Aber Lando schüttelt den Kopf. Das beunruhigt Max noch mehr.
Neugierig versucht er sich näher an seinen besten Freund zu beugen, aber Lando schiebt ihn weg. Dann rutscht an das andere Ende des Sofas, legt sich auf den Rücken und stellt seine angewinkelten Beine auf der Sitzfläche ab. Sie sind eine Barriere und hindern Max auf jeden Fall daran näher zu kommen. Sollte er es doch versuchen, würde Lando ihn vermutlich treten. Max traute ihm das auf jeden Fall zu.
Also bleibt Max sitzen und starrt Lando eindringlich an, der dem Blick ausweicht und noch dunklere Wangen bekommt.
George quasselt noch ein paar Minuten und fängt dann plötzlich an zu lachen. So laut, dass selbst Max es deutlich hört.
Der gequälte Ausdruck verschwindet aus Landos Gesicht. Er setzt sich wieder auf und sieht plötzlich so entschlossen aus, dass Max ein Schauer über den Rücken jagt.
»Woher willst du eigentlich wissen, dass es nicht stimmt? Vielleicht haben wir auch euch die ganze Zeit angelogen und waren nie nur Freunde!«
Max klappt die Kinnlade herunter, weil ihm sofort klar wird, worüber Lando und George reden. Er boxt Lando wieder gegen die Schulter, dieses Mal soll es wehtun. Der Brite verzieht auch schmerzerfüllt das Gesicht, traut sich aber trotzdem nicht Max anzusehen. Unter normalen Umständen hätte er schon längst zurück geboxt.
George lacht wieder und Max möchte ihm sagen, dass er damit aufhören soll. Denn das provoziert Lando nur und dann reitet er sie noch tiefer in die Scheiße. Wenn das überhaupt noch möglich ist.
»Du kannst mich mal! Wir werden morgen da sein und dann beweise ich dir, dass ich nicht gelogen habe!«, faucht Lando und legt danach ohne Verabschiedung einfach auf.
Er starrt noch ein paar Sekunden sein Handy an, bevor er sich zu Max umdreht.
Der Niederländer braucht ein paar Sekunden, um die letzten Minuten zu verarbeiten, dann schnappt er sich eins von den Sofakissen und schlägt es Lando so hart ins Gesicht, wie er kann.
»Bist du jetzt vollkommen irre?«, fragt er und holt nochmal mit dem Kissen aus, als Lando nicht antwortet.
Der Brite hebt abwehrend die Hände und hält sie sich schützend vor sein Gesicht. »Er hat mich provoziert, sorry. Es ist mir-«
»Komm‘ mir jetzt nicht wieder mit es ist mir so herausgerutscht!«, unterbricht Max ihn. »Ich schleppe dich zu einem Kurs für Selbstbeherrschung, wenn du nicht endlich lernst deine blöde Klappe zu halten! Ich schwöre es dir!«
Landos Augen wandern zu dem Kissen in Max Hand, dass noch immer bedrohlich über dem Kopf des Briten schwebt.
Max ist sich sicher, dass Lando bereits eine spitze Bemerkung zum Thema Selbstbeherrschung auf der Zunge liegt. Aber er ist schlau und schweigt, weil er weiß, dass Max ihm haushoch überlegen ist und er anfängt, wirklich mit seinem Leben zu spielen, wenn er jetzt noch mehr Scheiße redet.
»Es tut mir leid, okay?! Aber ich konnte ja nicht wissen, dass meine Mutter Georges anruft und ihr gleich erzählt, dass ich endlich in festen Händen bin. Und dafür, dass die Mutter von George misstrauisch ist und bei George nachfragt, kann ich auch nichts!«
Max schüttelt ungläubig den Kopf, bevor er Lando fassungslos ansieht. »Du hast doch angefangen mit diesem Schwachsinn! Dir hätte klar sein müssen, dass deine Familie das nicht für sich behält! Bist du wirklich so blöd oder tust du nur so?«
Max wartet nicht auf eine Antwort, er angelt sich sein Handy vom Tisch.
»Was machst du da?«, fragt Lando panisch.
»Ich rufe George an und sage ihm, dass du verrückt bist und morgen eingewiesen wirst!«, entgegnet Max ungerührt.
Der Niederländer hat keine Lust darauf, dass noch mehr Menschen denken, er wäre mit Lando zusammen. Das hat schon jetzt viel zu große Kreise gezogen.
»Scheiße, nein!«, schreit Lando und stürzt sich auf Max.
Er schafft es den Holländer zu überwältigen und ihm das Handy wegzunehmen. Es schlittert quer über den Tisch und fällt auf der anderen Seite fast wieder hinunter. Aber darauf achten die beiden Freunde nicht. Denn Lando sitzt auf Max Schoß und pinnt dessen Hände über seinem Kopf auf der Armlehne fest. Lando gewinnt selten eine ihrer Rangeleien und Max gönnt ihm diesen Triumph mal so gar nicht. Könnten Blicke töten, würde Lando sich jetzt die Radieschen von unten ansehen.
Lando sieht seinen Mitbewohner flehend an. »Bitte, nur einmal, danach erzähle ich allen die Wahrheit. Versprochen!«
Max weiß, dass George Lando mit dem ewigen single-sein genauso aufzieht, wie dessen Familie. Und Max tut Lando leid, wirklich. Aber alle ihre Freunde deswegen auch anzulügen ist zu viel des Guten. So viel Mitleid hat er dann doch nicht.
»Versuchst du schon wieder mit mir zu diskutieren? Es ist mir scheißegal Lando, wir sagen George die Wahrheit! Das mit deiner Familie ist eine andere Sache!«
Landos Gesicht wird von Enttäuschung erfasst. Der Griff um Max‘ Handgelenke lockert sich und Lando sinkt auf seinem Schoß etwas tiefer, bis er auf Max‘ Oberschenkeln sitzt.
»Wenn wir ihm die Wahrheit sagen, dann ruft er seine Mutter an und die sagt es meiner«, sagt Lando kleinlaut.
Max verzieht das Gesicht über die Korrektheit der Briten. Und darüber, dass sich George schon wieder in Dinge einmischt, die ihn gar nichts angehen.
»Was genau hat George eigentlich zu dir gesagt?«, fragt Max neugierig. Sein Widerstand fängt schon wieder an zu bröckeln. Es ist schon fast peinlich, dass er sich gegen Lando nicht durchsetzen kann.
»Er wollte wissen, warum ich meiner Familie so einen Blödsinn erzähle. Dann hat er damit angefangen, dass ich viel zu kindisch für eine Beziehung bin und vermutlich schreiend wegrennen würde, wenn mich mal jemand auf ein Date einlädt.« - Lando schielt nachdenklich gen Decke, bevor er Max wieder ansieht - »Ach so und, dass sich jemand wie du niemals in jemanden wie mich verlieben könnte. Außerdem musste er mir nochmal unter die Nase reiben, dass du nicht schwul bist und die ganze Sache allein deswegen schon total bescheuert ist! Er meinte, wenn ich Charles davon erzähle, wird der dich damit nie wieder in Ruhe lassen, weil es keinen Sinn macht, dass wir plötzlich mehr sind als bloß Freunde.«
Insgeheim muss Max George in vielen Punkten recht geben. Lando ist kindisch und würde vermutlich rote Wangen bekommen und ein Date stotternd ablehnen, um sich danach über sich selbst zu ärgern oder er würde Max vorschicken. Dass Max nicht schwul ist, damit hat George auch recht. Aber das sich so jemand wie er nicht in Lando verlieben könnte, ist falsch. Und wenn Charles auch nur ein Wort darüber verliert oder sich über Lando und ihn lustig macht, haut Max ihm dieses Mal wirklich eine rein. Es wäre sogar moralisch gerechtfertigt. Auf so eine Gelegenheit wartet Max seit einem Jahr.
Die Vorstellung davon, wie George das selbstgefällige Grinsen vergeht und Charles die Kinnlade herunterklappt, ist so befriedigend, dass Max einfach nachgeben muss. Aber wie gestern geht es jetzt darum, noch das Beste herauszuholen.
Max verdreht die Augen. »Sechs Monate.«
Lando zieht die Augenbrauen zusammen. »Sechs Monate was?«
»Putzdienst für dich! Und ich will meinen Chelsea Pullover wiederhaben!«
Lando macht große Augen, weil er dieses Mal wirklich nicht glauben kann, dass er Max tatsächlich überzeugen konnte. »Jetzt ernsthaft?«
Max stützt sich auf seine Ellbogen, damit er den Oberkörper wieder etwas aufrichten kann. »Sehe ich aus, als würde ich Witze machen? Und wehe du heulst mir die Ohren voll, wenn deine Freunde dich danach hassen!« - Max hätte zu mindestens nichts dagegen, wenn Charles danach von der Bildfläche verschwinden würde. Aber so viel Glück wird er wahrscheinlich nicht haben.
Lando grinst über beide Ohren und kippt dann nach vorne, um Max um den Hals zu fallen. Dabei fällt er beinahe vom Sofa und Max muss ihn an den Oberschenkeln festhalten, damit Lando sich nicht wehtut.
»Ich liebe dich, du bist der Beste«, murmelte Lando Max ins Ohr, während er ihn ganz fest an sich presst.
Max verdreht die Augen und tätschelt ihm den Rücken. »Hebe dir das für Morgen auf!«
Sie verweilen noch ein paar Sekunden in dieser Position, bevor Lando sich wieder aufsetzt und schließlich auch von Max hinunterklettert.
Dann lächelt Lando Max an, sein ganzes Gesicht leuchtet und die kleine Lücke zwischen seinen beiden vorderen Schneidezähnen ist dabei zu sehen. Max mag diesen Gesichtsausdruck am liebsten an Lando.
»Schauen wir den blöden Film jetzt zu ende? Ich will wissen, ob der genauso ausgeht wie alle anderen hochdramatischen Liebesfilme!«
Lando verdreht die Augen, bevor er den Film wieder startet.
Max behält recht; das Ende ist hochromantisch und vorhersehbar. Der gute Junge bekommt das schönste Mädchen, sie küssen sich im Sonnenuntergang, die Kamera schwenkt zum Himmel und das Wort „Ende“ wird in großen weißen Buchstaben eingeblendet. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute.
Während Lando versucht nicht in Tränen auszubrechen, sammelt Max augenverdrehend das Sandwichpapier ein und entsorgt es im Mülleimer.
Als er sich danach wieder zu Lando umdreht, sieht dieser ihn nachdenklich an.
»Was ist jetzt noch?«, fragt Max und seufzt.
»Wir sollten uns eine Geschichte überlegen«, antwortet Lando ernst.
Max zieht eine Augenbraue hoch, weil er nicht genau versteht, worauf Lando hinauswill.
»George wird wissen wollen, wie wir zusammengekommen sind. Wir sollten uns vorher etwas überlegen, nicht das wir durcheinanderkommen!«
Max lässt sich wieder neben Lando auf dem Sofa fallen. »Ich glaube du nimmst das alles etwas zu ernst!«
Lando überhört die Bemerkung, setzt sich im Schneidersitz seitlich auf das Sofa und trinkt einen Schluck Cola, während er den Laptop-Display anstarrt, als könnte der ihm eine gute Antwort geben.
»Ich hab’s!«, sagt er nach ein paar Minuten Stille und dreht sich in Max Richtung. »Du hast mich beim FiFa spielen geküsst, weil du schon ewig in mich verknallt bist und es nicht länger ausgehalten hast – was hältst du davon?«
Für Max klingt das nach schlechter Seifenoper. »Nein, vergiss es!« - er verschränkt abwartend die Arme vor der Brust.
»Warum nicht? Das ist voll süß und einfach zu merken!«, erwidert Lando beleidigt und schiebt die Unterlippe vor.
»Jede zweite Netflix-Beziehung fängt so an; dass klingt unglaubwürdig. Und außerdem: Halt mich da raus! Du hast mit dem Schwachsinn angefangen, also hast du mich auch zuerst geküsst. Aber lasse dir was Besseres einfallen!«
Jetzt zieht Lando wirklich eine Schnute. »Jeder weiß, dass ich mich das niemals trauen würde. Lieber bleibe ich für immer allein!«
»Ich wünschte, du hättest genauso viel Schiss davor gehabt, jedem zu erzählen, dass wir zusammen sind. Dann hätte ich jetzt nicht so viele Probleme!«, murmelt Max in niederländisch in seinen nicht vorhandenen Bart.
Lando legt den Kopf schief, weil er kein Wort verstanden hat. Aber er weiß, dass es bestimmt kein Kompliment war. »Meine Mum hat mal gesagt, wenn man nichts Nettes zu sagen hat, soll man lieber gar nichts sagen!«
Jetzt ist es Max, der Lando verwirrt ansieht. »Was? Du hast doch nicht mal verstanden, was ich gesagt habe!«
»Habe ich dir je gesagt, dass meine Mutter Belgierin ist und wir zuhause ein bisschen niederländisch gelernt haben?« - Lando klingt überzeugend, schiebt aber im selben Moment die Zunge in den Mundwinkel und verrät sich damit selbst. Denn das macht er immer, wenn er nervös ist oder bloß blufft. Und Max hat das ziemlich schnell herausgefunden.
Der peinlich berührte Anflug rote Farbe verschwindet wieder von Max Wangen. Stattdessen funkelt er Lando herausfordernd an. »Und was hast du dir davon gemerkt? „Hallo“ und „Tschüss“? Du bist mit Englisch doch schon überfordert!«
»Und du bist ein Arschloch!«, bellt Lando ernsthaft beleidigt.
Max atmet gespielt schockiert ein und schlägt sich die Hand auf die Brust. »Wie bitte? Fängt gerade unser erster Beziehungsstreit an? Nein bitte nicht Baby!«
Lando bekommt rote Wangen. Max vermutet, dass das an dem Kosenamen liegt, weil Lando noch nie so genannt worden ist, außer vielleicht von seiner Mutter.
»Pass‘ auf«, lenkt Max ein, »Wenn George fragt, lass‘ ich mir schon was einfallen! Immerhin habe ich schon ein bisschen Erfahrungen mit ernsthaften Beziehungen!«
Lando wirft ihm nach ein paar Sekunden den Echt jetzt Blick zu, weil man bei Beziehungen die nie länger als zwei Monate dauern, nicht von ernsthaft sprechen kann. Aber keiner von beiden reitet weiter auf dem Thema herum.
Lando klappt seinen Laptop zu, während Max die Cola zurück in den Kühlschrank und die leeren Gläser in die Spüle stellt. Dann gehen sie zusammen ins Bad und drängeln sich dicht vor dem Waschbecken, damit sie sich gleichzeitig die Zähne putzen können.
Sie spielen noch eine Runde Call of Duty in Max‘ Zimmer.
Bevor Lando danach in sein eigenes verschwinden kann, fragt Max, wann sie morgen bei George verabredet sind.
»Gegen acht, wie immer.« - Lando grinst - »Gute Nacht Darling!«
»Fick dich Baby!«, antwortet Max und zeigt seinem besten Freund den Mittelfinger, bevor Lando die Tür hinter sich ins Schloss zieht und in sein eigenes Zimmer huscht.
Chapter Text
Max lehnt am frühen Dienstagabend mit einer Dose Red Bull an der Küchenzeile und wartet darauf, dass Lando endlich fertig wird, damit sie los gehen können.
Max ist entspannt, auch wenn Pierre ihn heute den ganzen Tag komisch angeschaut hat und Lando jede Stunde nervöse Smileys geschickt hat. Der Niederländer hat das alles an sich vorbeiziehen lassen, seine Vorlesungen hochkonzentriert hinter sich gebracht und danach den Supermarkt unsicher gemacht.
Er hat eine Reißpfanne gekocht, weil George und die anderen noch seltener Essen im Haus haben als Max und Lando und er nicht auf nüchternen Magen trinken will. Den Rest hat er in eine Tupperbox gefüllt und für Lando in den Kühlschrank gestellt, bevor er selbst unter die Dusche gestiegen ist.
Als er das Badezimmer wieder verlassen hatte, lagen Landos Schuhe im Flur verstreut (einer direkt neben der Wohnungstür, der andere schon fast in Max‘ Zimmer) und er selbst hockte am Küchentisch über der Tupperbox. Viel gegessen hatte er allerdings nicht.
»Ist alles in Ordnung? Schmeckt’s dir nicht?«, hatte Max gefragt.
Lando hatte genickt und dann den Kopf geschüttelt, war aber gleichzeitig noch blasser im Gesicht geworden, bevor er sich unter die Dusche verdrückt hatte und danach direkt in sein eigenes Zimmer.
Max hat ihn in Ruhe gelassen – bis jetzt. Aber wenn der Brite weiter so trödelt, kommen sie zu spät. Denn wenn George um acht sagt, dann meint er das auch genauso. Nicht ab acht, nicht vor acht und auch nichts anderes. Und George hasst Zuspätkommen. Da sind vermutlich alle Briten gleich. Außer Lando.
»Lando!«, schreit Max quer durch die Wohnung als sein Red Bull leer ist. »Wir müssen los!«
»Ja, gleich!«, antwortet Lando in derselben Lautstärke und klingt gestresst.
Max verdreht die Augen und fragt sich, was am Klamotten heraussuchen und anziehen so lange dauern kann. Lando macht daraus manchmal eine Wissenschaft, selbst wenn sie nur ins Kino gehen.
Max sieht aus wie immer. Blaue Jeans, stinknormaler, weißer Kapuzenpullover. Anorak und Turnschuhe, fertig.
Der Niederländer befürchtet kurz, dass Lando gleich im Anzug vor ihm steht. Für so blöd hält er seinen besten Freund manchmal.
»Ich bin fertig, komm‘!«, ruft Lando ein paar Minuten später aus dem Flur.
Max denkt sich na endlich, steckt sein Handy in die Hosentasche und macht das Licht aus, als er die Küche verlässt.
Lando trägt keinen Anzug, sondern dunkelgraue Jeans, ein weißes Hemd und darüber einen von diesen Pullovern, die total kratzig aussehen, aber eigentlich richtig weich sind. In der Hand hält er Max Hard Rock Café Amsterdam Kapuzenpullover, den Max nicht vermisst, weil er sich im Sommer einen neuen gekauft hat. Ihm war von Anfang an klar, dass er den Pulli nie wieder sieht, nachdem Lando sich diesen im März ausgeborgt hat.
»Findest du das nicht etwas zu übertrieben?«, fragt Max zweifelnd, während er Landos Outfit kritisch beäugt.
»Einer muss ja gut aussehen«, entgegnet Lando ungerührt.
»Frech.« - Max streift sich einen dünnen Anorak über, weil es Mitte Oktober ist und 9° Celsius zu warm für eine richtige Winterjacke sind. Lando packt sich ein wie ein Eskimo und setzt sogar eine Bommelmütze auf.
Max weiß nicht, ob er das süß oder besorgniserregend finden soll.
Schließlich schüttelt er den Kopf. »Du bist so eine Frostbeule! Das ist nicht normal Mann!«
Lando zieht den Reißverschluss seiner Jacke bis ganz nach oben zu und ignoriert Max gewissenhaft.
Auf dem Weg nach unten kommt ihnen die Nachbarin von oben drüber entgegen. Sie lächelt Max an und streicht sich dabei eine Haarsträhne hinters Ohr. »Hi Max!«
Max bleibt abrupt stehen, weil er sie fragen will, woher sie seinen Namen kennt. Er steht weder auf dem Klingelschild noch auf dem Briefkasten und er hat noch nie ein Wort mit ihr gewechselt.
Doch, bevor er den Mund aufkriegt, packt Lando ihn an der Hand und zieht ihn weiter die Treppe hinunter.
»Flirten könnt ihr wann anders, wir sind spät dran!«, sagt er und klingt ungewohnt feindselig.
Aber Max schenkt ihm keine Aufmerksamkeit, weil sein Gehirn immer noch mit der Nachbarin beschäftigt ist.
Sie lächelt und winkt zum Abschied und Max lächelt zurück, bevor Lando ihn um die Ecke zum nächsten Treppenabsatz zieht.
Sein bester Freund lässt seine Hand erst wieder los, als sie unten auf dem Gehweg stehen. Es nieselt und Max bereut die Entscheidung, zu George und Co. zu laufen. Sie hätten doch das Auto nehmen sollen, auch wenn dann einer von ihnen nichts hätte trinken können.
Lando zieht ungeduldig an seiner Mütze, bis keine Haarsträhne mehr darunter hervorschaut. Dann sieht er Max skeptisch an. »Die willst du aber nicht daten, oder? Die ist viel zu alt für dich!«
Max runzelt die Stirn, weil Lando das so herablassend betont, und wundert sich über dessen Verhalten immer mehr. Lando hat noch nie zuvor einen negativen Kommentar zu Max‘ Dates oder Freundinnen abgegeben. Er war immer freundlich und höflich. Manchmal hat er sie sogar ins Kino oder zum Essen begleitet, weil man Lando einfach mögen muss und Max‘ Partnerinnen sich so gut mit ihm verstanden haben.
»Wenn ich’s nicht besser wüsste, könnte man glatt meinen du wärst eifersüchtig«, sagt Max, während sie Straße hinunterlaufen.
Lando verzieht das Gesicht und sieht Max an, als hätte der nicht mehr alle Tassen im Schrank. »Das ist totaler Blödsinn! Ich bin schwul, ich will bestimmt nichts von ihr!« (Max entgeht dieses Mal, wie sich Landos Zunge in dessen Mundwinkel schiebt.)
Max lacht. »Besser ist es!« - und zieht an Landos Bommelmütze, die dabei verrutscht.
»Man, meine Haare werden nass!«, jammert Lando und macht einen Satz zur Seite, um der Berührung zu entkommen.
Beleidigt richtet er seine Mütze wieder und wirft Max einen bösen Blick zu, bevor er ihm wieder etwas näherkommt und ihn dabei mit Absicht anrempelt, sodass der Niederländer etwas ins Straucheln gerät.
Max legt Lando einen Arm um die Schulter. Die beiden Freunde sehen sich an und lachen.
Der Niederländer ist glücklich und weiß schon seit einiger Zeit, dass er sich ein Leben ohne Lando nicht mehr vorstellen kann. Er würde niemals etwas tun, dass ihre Freundschaft gefährdet. Dafür ist ihm der Brite einfach zu wichtig.
Die Wohnung von George, Alex und Pierre liegt in einer ruhigen Seitenstraße in Richtung Stadtgrenze. George ist der Einzige, der sich in regelmäßigen Abständen darüber beschwert, weil der Weg zur Universität so weit ist.
Max hat gemerkt, dass Lando immer langsamer wird, seitdem sie in die Straße eingebogen sind. Jetzt ist er zwanzig Meter vor der Tür einfach stehen geblieben und sieht das fünfstöckige Backsteinhaus an, als würde darin der Teufel auf sie warten.
»Was ist? Worauf wartest du?«, fragt Max, der langsam weiterläuft.
»Das ist eine total doofe Idee!«
Max sieht ihn an und weiß nicht, wie er das benennen soll. Letztendlich fragt er sich bloß, ob er Lando einfach im Regen stehen lassen und für immer ignorieren soll.
»Ist das gerade dein Scheiß Ernst?«, fragt Max nach ein paar Sekunden Sprachlosigkeit.
»Wir sagen einfach du bist krank und dann gehen wir ihnen aus dem Weg bis zu meinem Geburtstag!« - Landos Grinsen sieht nach einem Psychopathen aus und Max bekommt langsam wirklich Angst, dass Lando sein Hirn irgendwo unterwegs verloren hat und sie es nie wieder finden werden.
»Sicher und Pierre erzählen wir einfach, meine Anwesenheit in der Uni ist Einbildung!«, ergänzt Max sarkastisch.
»Glaubst du das wird funktionieren?«
Max verzieht das Gesicht und kann nicht glauben, dass Lando darauf wirklich eine Antwort erwartet. »Natürlich nicht du Dummkopf! Sag‘ mal was stimmt eigentlich nicht mit dir?«
Lando seufzt enttäuscht und lässt die Schultern hängen. »Ich habe George und Alex noch nie angelogen.«
»Das hättest du dir überlegen sollen, bevor du so eine dicke Lippe riskiert hast!« - Max verschränkt die Arme vor der Brust - »Also entweder gehen wir jetzt da hoch und du erzählst ihnen die Wahrheit oder du ziehst durch, was du gestern angefangen hast!«
Man gehen Landos Gesicht seine Gedanken förmlich ablesen. Er spielt alle Möglichkeiten durch, was ziemlich lange dauert und Max fast zur Weißglut treibt, bis er nickt und sagt: »Okay, wir machen das! Vielleicht halten sie ja dann endlich die Klappe!«
Max bezweifelt, dass George neunmalklug Russell oder Charles ich gehe jedem mit meiner uninteressanten Meinung auf den Sack Leclerc danach die Klappe halten werden, aber das sind Landos Freunde und deswegen nicht sein Problem. Eigentlich, denn Lando macht es gerade dazu. Und der Niederländer hofft, dass er zu mindestens heute von Charles verschont bleibt!
Max merkt zu spät, dass er gerade die letzte Gelegenheit verpasst hat, sich doch noch aus der Sache heraus zu schummeln. Denn Lando ist plötzlich an ihm vorbei gerauscht und hat bereits geklingelt.
Die WG ist in der obersten Etage des Flachdachbaus und Max weiß plötzlich wieder, warum er nicht gerne herkommt: Es gibt keinen Fahrstuhl!
Als Max und Lando den letzten Treppenabsatz hinter sich lassen, werden sie bereits von einem grinsenden Charles und George erwartet. Der Niederländer muss sich wirklich zusammenreißen, damit er das Gesicht nicht angewidert verzieht.
Lando bleibt mitten im Gang zwischen Treppe und Wohnungstür stehen und Max rennt ihn beinahe über den Haufen, weil er sich zu sehr auf die nervigen Opas aus der Muppet Show konzentriert hat.
Der Brite stöhnt schmerzerfüllt, weil Max ihm in die Hacken getreten ist und Max meckert: »Scheiße Lando, ernsthaft!«
Das bringt den beiden zwei Paar hochgezogene Augenbrauen ein und George verschränkt selbstgefällig die Arme vor der Brust, als wäre er ein Vater, der seine Kinder gerade beim Lügen erwischt.
Zum Glück schaltet Max schneller als Lando. Er umarmt seinen Freund von hinten, drückt ihm einen Kuss auf die Wange und murmelt sein »Sorry Babe« gerade laut genug, damit Charles und George es auch hören können.
»So ein süßes Paar«, flötet Charles daraufhin mit diesem hässlichen französischen Akzent, von dem Max sofort Brechreiz bekommt.
»Besser als William und Kate!«, stimmt George zu und schlägt sich theatralisch die Hand vor die Brust.
Lando bekommt schneller rote Wangen als ein Rennauto fahren kann und schiebt sich in einem Anfall von Nervosität die Zungenspitze in den Mundwinkel. Max hofft, dass George Landos Körpersprache nicht so gut kennt, wie er selbst. Denn dann fliegt das ganze schneller auf, als Lando sich wünschen kann.
Zum Glück taucht in diesem Moment Alex hinter den beiden Idioten auf und zieht sie aus der Tür zurück.
»Ihr seid unmöglich, schlimmer als jeder Papparazzi!«, schimpft er. »Haut ab und macht was sinnvolles!«
Max staunt nicht schlecht darüber, dass Charles und George tatsächlich verschwinden. Aber gleichzeitig ist ihm auch klar, dass der Abend gerade erst angefangen hat, genauso wie Charles und George.
Alex wundert sich über die Beziehung von Max und Lando entweder nicht oder er lässt es sich einfach nicht anmerken, als er Lando in eine lockere Umarmung zieht und Max ein High-Five gibt.
»Ich will ja nicht zu Gewalt aufrufen, aber wenn George und Charles zu sehr nerven, haut ihnen einfach eine rein! Manchmal haben sie es einfach nicht anders verdient.«, sagt Alex, während Lando und Max sich die Schuhe im Flur ausziehen und er die Tür hinter ihnen schließt.
»Nichts lieber als das«, murmelt Max und erntet dafür sofort einen bösen Blick von seinem besten Freund.
»Bring‘ ihn doch nicht noch auf dumme Ideen Alex! Der macht das wirklich!«, erwidert Lando.
Und Max stößt ihm dafür den Ellbogen in die Rippen, weil er sich von dem Kleinkind in Person bestimmt nicht wie eins behandeln lässt.
»Aua du Arsch!« - Lando verzieht leidend das Gesicht, während er sich die Seite reibt.
»Ich liebe dich auch«, entgegnet Max ungerührt.
Alex lächelt die beiden mütterlich an, bevor er in die Küche abbiegt und Lando und Max was zu trinken holt.
Max hätte mit mehr Skepsis gerechnet, aber anscheinend ist er doch ein besserer Schauspieler als er gedacht hatte. Und das kann nur gut sein.
Dafür ist Lando ein wandelndes Nervenbündel, dass gleich zu versagen droht. Max spürt die Unsicherheit, die von dem Briten ausgeht.
»Wenn du so weiter machst, musst du dir wieder Labello kaufen!«
Lando zuckt ertappt zusammen und seine Zunge verschwindet wieder aus dem Mundwinkel, bevor er den Rest Speichel mit dem Ärmel seines Pullovers wegwischt. Kein wirklich appetitlicher Anblick, aber etwas das Lando nur macht, wenn er wirklich scheiße nervös ist und nicht mehr, wie ein Erwachsener denken kann.
»Was ist? Warum bist du so nervös?«, flüstert Max.
»Ich weiß nicht, wie das funktioniert! Was macht man in einer Beziehung? Scheiße, ich pack‘ das nicht. Was ist, wenn die erwarten, dass wir uns küssen?«
Das können die gleich wieder vergessen, denkt Max. Und selbst, wenn das nicht gespielt wäre, könnten George und Co. nicht erwarten, dass er Lando vor versammelter Mannschaft die Zunge in den Hals steckt.
»Bevor ich dich küsse, muss jemand den Weltuntergang ankündigen – dann können wir da nochmal drüber reden«, entgegnet Max.
Lando verdreht die Augen. »Mit dir kann man sich nur geliebt fühlen!«
Bevor Max noch etwas dazu sagen kann, taucht Alex wieder im Flur auf. Er reicht Max ein Bier und Lando Cola mit Wodka. Max weiß, dass Lando maximal zwei Gläser braucht bis er angetrunken und vier, maximal fünf, bis er hacke dicht ist. Vielleicht sollte er ihn zum schnell trinken animieren, dann können sie schneller wieder verschwinden.
»Ich wusste schon immer, dass aus euch mal was wird«, sagt Alex zu dem Pärchen, bevor er ins Wohnzimmer abbiegt.
Lando und Max sehen sich an. Für einen Moment ist das ein ziemlich befremdlicher Gedanke, aber als Lando – anscheinend durch Alex Kommentar ermutigt – nach Max‘ Hand greift, fühlt Max sich sofort wieder wohl. Landos Hände sind kleiner als seine, aber seine Haut ist viel weicher. Max kann dem Bedürfnis, seine Finger mit Landos zu verschränken, nicht widerstehen. Er drückt seine Hand kurz, bevor er ihre Finger wieder entflechtet und seine flache Hand in Landos Rücken presst.
»Ab in die Höhle des Löwen Baby«, flüstert er ihm ins Ohr und schiebt Lando dann in den größten Raum der Wohnung.
George und Charles sitzen auf dem Sofa und starren sie an, als wären Lando und Max ihr persönliches Bespaßungsprogramm, während Alex auf dem Boden hockt und Monopoly aufbaut.
Lando lässt sich neben ihm auf dem Boden fallen und übernimmt die Verteilung des Spielgelds. Vermutlich, um Charles‘ und Georges prüfenden Augen zu entkommen. Denn Monopoly gehört nicht zu ihren Lieblingsspielen. Unter anderen Umständen hätte der Brite schon längst ein anderes Spiel vorgeschlagen oder sich hartnäckig dagegen gewehrt, mitzuspielen – genauso wie Max.
George lehnt sich auf dem freistehenden Sofa zurück und legt seinen freien Arm auf der Armlehne ab, während er mit dem anderen seine Bierflasche festhält. Was lässig aussehen soll, ist in Max‘ Augen nichts anderes als dreiste Selbstgefälligkeit. Und Charles setzt das dazu passende, gehässige Grinsen auf. Guter Cop, böser Cop.
»Erzählt doch mal, mich interessiert echt, wie ihr darauf gekommen seid, dass miteinander vögeln besser ist als Freunde sein.«
Lando steht der Schreck über die Wortwahl förmlich ins Gesicht geschrieben, als er sich hilfesuchend zu Max umdreht.
Max hätte solche Worte eher von Charles erwartet und die Antwort wäre auch entsprechend ausgefallen. Weil er den Monegassen eh nicht leiden kann. Aber bei George muss er etwas anderes an die Sache herangehen. Weil er weiß, wie wichtig Lando seine Schulfreunde sind.
»Ein Gentleman schweigt und genießt. Du musst nicht immer alles wissen!«, entgegnet Max selbstsicher. Sich herausreden ist einfacher, als sich eine glaubwürdige Geschichte auszudenken. Der Gedanke kam ihm vorhin beim Duschen.
Selbst, wenn sie sich tatsächlich beim FIFA spielen nähergekommen wären, würden George und Charles das niemals glauben. Sie erwarten bestimmt irgendein hochromantisches Date in einem teuren Restaurant mit Hemd und Krawatte und gutem Essen.
Max findet diese Erwartungshaltung etwas veraltet und auch absolut nicht romantisch. Dates müssen außergewöhnlich sein und einem die Möglichkeit dazu geben, einander kennenzulernen. Und wenn man den Mund voll hat, redet man nicht. Deswegen schlägt Max Essen gehen nur vor, wenn schon vorher klar ist, dass daraus nichts weiter wird als eine schnelle Bettgeschichte.
Da Max Lando manchmal besser kennt als sich selbst, entfällt die Kennlernphase. Deswegen würde er mit ihm vermutlich Paintball spielen gehen. Weil Max es genießt, wenn Lando mal die Klappe hält und nicht ständig plappert. Und wenn er den Mund doch aufmacht, schießt Max ihn einfach ab.
Lando wirft Max einen Blick zu, den der Niederländer nicht richtig deuten kann. Entweder will er ihm damit sagen, dass er sich ganz schnell eine Story überlegen soll, um George ruhig zu stellen oder es ist eine stille Drohung, weil ausgemacht war, dass Max sich eine Geschichte überlegt. Und ein blöder Spruch ist keine Geschichte.
Lando drückt Alex das Spielgeld in die Hand, bevor er sich zu George und Charles umdreht. Max ahnt schlimmes.
»Also eigentlich haben wir nicht…« - Lando bricht den Satz ab und bekommt rote Wangen und sieht doch wieder hilfesuchend zu Max.
Der Niederländer verschränkt abwartend die Arme vor der Brust, weil er genauso gespannt auf Landos Geschichte ist, wie alle anderen. Ihm zu helfen steht jetzt nicht mehr auf seiner Agenda. Das hat er sich gerade selbst versaut.
George schnaubt. »Hast du Max ‘nen Liebesbrief geschrieben, oder was?«
Zugegeben, Max hat noch nie einen Liebesbrief bekommen. Er würde sich darüber freuen. Auch wenn er bei Lando bestimmt mehr mit Rechtschreibfehler korrigieren beschäftigt ist als mit dahinschmelzen.
Charles schlägt sich theatralisch die Hand auf die Brust. »Geliebter Max, wegen dem Mangel an Alternativen und meiner Unfähigkeit, andere Männer anzusprechen, habe ich den einfachen Weg gewählt und mich in dich verliebt. Du bist immer so nett zu mir und zu anderen. Und eigentlich habe ich dich schon immer geliebt…« - Charles tut so, als hätte er ein Blatt Papier in der Hand, von dem er vorliest und George fällt vor Lachen fast vom Sofa - »Du siehst zwar nicht besser aus als der Durchschnitt, aber für meine Ansprüche reicht es gerade so. Und wenn du mich das nächste Mal küssen würdest, statt mich zum 100.000 Mal bei FIFA zu besiegen, dann würde mein kühnster Traum in Erfüllung gehen. Du bist mein Prinz…« - Charles unterbricht sich selbst durch lautes Lachen. Anscheinend sind ihm die Ideen ausgegangen, aber was er gesagt hat reicht aus. George muss sich Tränen aus dem Gesicht wischen und selbst Alex schmunzelt. Lando sieht so aus, als wollte er seine Freunde am liebsten gegen andere Menschen austauschen.
Max hat sofort wieder Mitleid mit ihm. Zum Glück weiß er, wie er Charles das heimzahlen kann.
»Neidisch Leclerc, weil an deinen Arsch keiner ‘ran will? Ich geb‘ dir ‘nen Tipp: Ein bisschen weniger blöd sein hilft! Dumm fickt gut trifft leider nicht auf alle zu!«
Dem Monegassen klappt der Mund auf und George hält sich die Hand vor den Mund, damit niemand sein Grinsen sieht. Den Verbündeten auszulachen ist nicht förderlich für weitere Kampfhandlungen an der vordersten Front.
Lando ist hin- und hergerissen zwischen Lachen und schockiert sein. Einerseits hat Charles das verdient, andererseits war Max schon etwas hart zu ihm.
Charles springt auf und schüttet Lando dabei fast sein Getränk in den Schoß. Er flucht auf französisch, was er immer macht, wenn er richtig angepisst ist.
»Merde, du bist so ein blöder-«
»Ist schon wieder Schwanzvergleichszeit? Wenn ja, hau ich gleich wieder ab!« - Pierres genervte Stimme, die Charles im richtigen Moment dazwischen grätscht, lässt den Monegassen sofort verstummen.
Und Max ist froh, dass der Franzose da ist. Einer weniger, der blöde Fragen stellt.
Charles bekommt rote Wangen und setzt sich wieder hin.
»Wolltest du nicht noch was sagen Charles?«, provoziert Max ihn weiter, weil er es einfach nicht lassen kann. Und er weiß, dass Charles in Pierres Beisein immer zurückhaltend ist, was das Fluchen angeht.
Der Franzose und der Monegasse tänzeln schon seit einem Jahr umeinander her. Jeder weiß, dass die beiden aufeinander stehen und hinter ihrem Rücken macht sich jeder seinen eigenen Spaß daraus, weil keiner von beiden genug Arsch in der Hose hat, um den anderen nach einem Date zu fragen.
Lando ist der Meinung, man müsste die beiden irgendwo einsperren, damit sie endlich mal aus dem Knick kommen. Max konnte ihn bisher erfolgreich davon abbringen, diesen Plan umzusetzen. Es reicht ihm schon, dass Charles ständig um Lando herumschwirrt wie eine lästige Fliege. Es soll nicht egoistisch klingen, aber Pierre hätte er gerne noch eine Weile für sich alleine. Weil der sein einziger Freund in England ist, den er sich nicht mit Lando oder den anderen teilen muss.
»Wie wäre es, wenn ihre eure Rivalität in Monopoly auslebt? Das erscheint mir wesentlich ungefährlicher!«, mischt sich Alex ein und präsentiert das aufgebaute Spielfeld mit einer einladenden Handgeste.
Charles nuschelt etwas vor sich hin, was Max nicht versteht. Aber es klingt nach Ich mach‘ dich fertig und Max will schon etwas darauf erwidern, da bemerkt er Landos flehenden Blick. Sein bester Freund sagt ihm stumm, dass er bitte einfach die Klappe halten soll. Und Max gibt dem mit einem innerlichen Seufzen nach, bevor er sich neben ihm auf den Boden fallen lässt und seinen Haufen Spielgeld zu sich heranzieht.
George rutscht neben Alex auf den Boden und macht Pierre den Platz auf dem Sofa frei, während Alex das Regelheft aus dem Karton holt. Als George das sieht, ist er es gleich wieder los.
»Vergiss das Heft!«, faucht er. »Wir spielen die Hardcore-Variante!«
Und jetzt ist sich Max sicher, dass heute mindestens einer ein Auge verliert. Denn Georges selbstzusammengestellte Monopolyregeln sind gnadenlos, manipulativ und stellt Max‘ Aggressionspotential jedes Mal auf die Probe.
* * *
Monopoly eskaliert immer. Max hat noch keinen Abend erlebt, an dem sie eine Runde nach zwei Stunden mit einem klaren Sieger beendet haben. Keiner will aufgeben, obwohl sie das Spiel alle hassen und niemand will verlieren. Jeder kämpft bis zum letzten Spielgeldpfund.
Pierre war heute als erster raus. Max vermutet eine gewisse Absicht dahinter. Denn für alle Geldbringenden Straßen hatte der Franzose angeblich kein Geld mehr und plötzlich lagen vor ihm nur noch das Wasserwerk und ein Bahnhof. Sein Besitz ging nach ein paar Runden auf George über. Dabei waren noch nicht mal alle Straßen verkauft und gebaut hatte auch noch keiner. Es war ein Trauerspiel.
Als nächste musste Alex dranglauben. Der hatte aber auch wirklich Pech gehabt. George beherrschte das Spielfeld und Alex kam in jeder Runde mindestens einmal auf eins seiner Felder. Kaum durfte gebaut werden, wurde es noch schlimmer. Er schaffte noch knappe drei Runden und George hatte sich schon auf Alex‘ Straßen gefreut. Aber schließlich profitierte erst Charles und dann Max davon. George ging leer aus und Alex mimte den zweiten Zuschauer.
Mit Lando ging es schon von Anfang an bergab. Denn der kann mit Spielgeld genauso schlecht umgehen, wie mit echtem Geld. Max musste ihm unter dem Tisch ständig Scheine zu schieben, damit sein bester Freund nicht schon als erster rausfliegt. Wenn das passiert wäre, wäre der Abend gelaufen gewesen. Denn Lando ist ein unglaublich schlechter Verlierer. Vielleicht sogar noch etwas schlimmer als Max.
Aber Lando muss dem Verlieren ins Auge blicken, als George ein Hotel auf die Park Lane setzt. Lando ist nur sechs Felder entfernt und musste in der vorletzten Runde schon Charles Miete für vier Häuser auf der Coventry Street bezahlen. Und Max tut so, als hätte er den bettelnden Blick seines besten Freundes nicht bemerkt. Sie sind in einer Phase des Spiels angekommen, in der jeder für sich selbst verantwortlich ist. Das muss auch Lando lernen. Max behält auf jeden Fall den Rest seiner Moneten für sich.
Lando nimmt das Paar Würfel in die Hand und George grinst ihn an, als wäre er seine nächste Mahlzeit.
Max weiß, dass es in Landos Kopf arbeitet. Sein bester Freund sucht nach einer Möglichkeit für sich selbst, damit er weiterspielen kann. Gewinnen wird er nicht mehr, dass weiß er auch. Aber Lando will wenigstens aufs Siegertreppchen.
Plötzlich lässt er die Würfel fallen und lehnt sich zurück. Er lässt seinen Blick kurz durch die Runde wandern, bevor er grinst. Es ist dieses „Pass auf, ich hab‘ eine sensationelle Idee“-Grinsen. Max verdreht die Augen.
»Wie wär’s, wenn wir Teams bilden? Dann können Pierre und Alex auch wieder mitspielen«, schlägt er vor. »Max und ich, Alex und George und Pierre und Charles!«
Pierre sieht so aus, als würde er ihm dafür am liebsten sein Bier ins Gesicht schütten. Max mag die Vorstellung. Er ist auch nicht gerade erpicht darauf, seine Errungenschaften mit diesem strategielosen Idioten zu teilen. Auch wenn es irgendwie sein Idiot ist.
Alex – dem schon seit fast einer Stunde sterbenslangweilig ist - stimmt Landos Idee zu. Und wenn Alex etwas gut findet, ist George meistens automatisch auch mit dabei.
Max findet, die beiden sind noch schlimmer als Charles und Pierre. Weil sie nicht mal wissen, dass sie aufeinander stehen. Lando ist das auch noch nicht aufgefallen. Das zeigt Mal wieder, wie gefühlsblind Briten sind.
Also bilden sie Teams und George tritt eine Straßengruppe seines Imperiums an Charles und Pierre ab, damit so etwas wie Chancengleichheit herrscht. Denn mit drei Bahnhöfen, Orange und Grün kommen sie nicht weit.
Die ersten paar Runden mit der neuen Aufteilung sind harmonisch, aber als Max ein bisschen Geld zum Bauen übrighat, gehen die Diskussionen los. Lando und Max sind sich in gar nichts einig.
Beim Streiten ist Lando in seinem Element. Max eigentlich auch, aber ihm fällt immer öfters auf, dass George ihm skeptische Blicke zu wirft. Deswegen hält er sich zurück.
»Das ist total bescheuert! Auf Pall Mall und Whitehall waren die anderen so oft. Lass‘ uns da zuerst bauen!«, meckert Lando.
»Nein.« - Max verschränkt die Arme vor der Brust - »Erst bauen wir rot aus. Danach kümmern wir uns um den Rest!«
Die rote Straßengruppe gehört zu Max wie die Queen zu England. Er besitzt sie in jedem Spiel und baut sie auch immer zuerst aus. Egal, ob es sinnvoll ist oder nicht. Da ist er stur und eigensinnig.
Lando stöhnt genervt. »Du gehst mir auf den Sack, weißt du das? Wir bauen nicht da.« - dann nimmt er sich dreihundert Pfund aus ihrem Besitz und überreicht sie Alex, der die Bank ist - »Drei Häuser für pink!«
Max reißt ihm das Geld aus der Hand, bevor Alex es an sich nehmen kann. »Hör auf damit! Jemand der vor Charles aus dem Spiel fliegt, hat nichts mehr zu melden!«
»Hey!«, empört sich der Monegasse sofort, bleibt aber unbeachtet.
»Wir sind ein Team! Ich erwarte Gleichberechtigung!«
»Du kannst mich mal!«
Beide verschränken die Arme vor der Brust und starren sich mordlustig an.
Alex hebt die Hände und versucht zu schlichten: »Jungs, bitte streitet euch nicht. Es ist nur ein Spiel!«
»Psht!«, macht George in seine Richtung. »Wenn die sich deswegen schon in die Haare bekommen, dann will ich nicht wissen, was bei den wirklich ernsten Themen passiert! Haben wir noch Popcorn?«
Daraufhin werfen die beiden Streithähne George einen bösen Blick zu, bevor Lando aufsteht und sich sein Glas schnappt.
»Ich hol‘ mir was Neues zu trinken. Vielleicht ist Mister Arrogant bis dahin wieder von seinem Egoismus-Trip zurück!«, zischt er und verschwindet, bevor Max etwas erwidern kann.
Max sieht ihm hinterher. Nicht, weil es für andere so aussehen soll als würde er Ihren Streit schon wieder bereuen, sondern weil er das immer macht.
Max ist manchmal ziemlich arrogant, so wurde er erzogen. Und er bemerkt nicht immer sofort, wenn sein Verhalten verletzend wird. Bei Lando kann er besonders schlecht zwischen Spaß und Ernst unterscheiden. Was das angeht ist er ein sehr guter Schauspieler, der es ständig schafft, Max ein schlechtes Gewissen einzureden. Obwohl der Niederländer eigentlich gar nichts gemacht hat.
Auch jetzt, denn kaum hat er das Wohnzimmer verlassen, seufzt Max und gibt Alex das Geld. »Gib mir drei Häuser für pink!«
Daraufhin prustet Pierre leise vor sich hin, George sieht Max an, als hätte dieser nicht mehr alle Tassen im Schrank und Charles murmelt Weichei zwischen zwei Mal gekünstelt husten. Der Einzige, der aussieht als würde er sich den besten Liebesfilm des Jahrhunderts ansehen, ist Alex.
Genau in dem Moment, wo er Max die drei Häuser überreicht, kommt Lando zurück ins Wohnzimmer. Max schiebt je eins der Plastikhäuschen auf jede pinke Straße. Dann dreht er sich zu seinem besten Freund um.
»Zufrieden?«
Lando lächelt jetzt auch wieder als er sich neben Max auf den Fußboden fallen lässt. »Ja. Hast du eingesehen, dass ich recht habe?«
»Nein, aber ich verschwende lieber 300 Pfund, bevor du mich deswegen den ganzen Abend so ansiehst, als würdest du mich am liebsten umbringen! Das muss nicht sein – Baby!«
Welche Erwiderung auch immer Lando auf der Zunge liegt, er schluckt sie runter und bekommt tomatenrote Wangen. Max ist sehr zufrieden damit. Weil er weiß, dass Lando sich für den Rest des Spiels zurückhalten wird.
Tatsächlich entpuppen sich die drei Häuser auf pink als große Geldquelle und nach ein paar weiteren Runden können Sie noch mehr Häuser auf pink und sogar rot bauen.
Jetzt wirft Lando Max ständig diese rechthaberischen Blicke zu und Max würde ihm so gerne den Mittelfinger zeigen. Aber das würde ihm noch mehr Skepsis von George einbringen und das will Max unbedingt vermeiden. Deswegen überlässt er Lando die meisten Entscheidungen und schlingt ihm einen Arm um die Hüfte. Das soll den anderen zeigen, dass er seinem Freund sein hart erarbeitetes Imperium bedingungslos anvertraut.
Lando zuckt unter der Berührung komisch zusammen und richtet seinen krummen Rücken angespannt auf, versucht sich aus der Berührung herauszuwinden. Max findet diese Reaktion irgendwie lustig. Er setzt seine Bierflasche an, um sein Grinsen zu verstecken.
Der Brite entspannt sich nicht wieder und Max lässt seine Hand unter seinen Pullover und das Hemd wandern, streicht sanft über Landos weiche Haut bis zu seiner Wirbelsäule und wieder zurück, bevor er seine Hand wieder auf den Stoff legt und noch einen Schluck Bier trinkt.
Max hat keine Miene verzogen und Landos ganzer Kopf ist feuerrot, während die Skepsis gar nicht wieder aus Georges Gesicht verschwinden will.
Langsam weiß Max nicht mehr, was er sonst noch tun soll. Sich Landos Namen tätowieren lassen? Auf das Dach der Uni klettern und ein Banner aufhängen?
Am liebsten würde Max George anschreien und ihm sagen, dass weder Lando noch irgendwer sonst, sich für seine Beziehung vor seinen Freunden rechtfertigen muss. Aber er weiß, dass die Regeln normaler Freunde nicht auf George, Alex und Lando anzuwenden sind.
Deswegen tut Max so, als wären ihm Georges Blicke gar nicht aufgefallen. Aber er lässt seine Hand an Landos Hüfte liegen und versucht ihm durch leichte Streichelbewegungen zu bedeuten, dass er sich entspannen soll.
Es dauert eine ganze Weile, bis Lando das tatsächlich tut. Aber als es so weit ist, lehnt er sich sogar etwas mehr in die Berührung und ist noch viel ausgelassener als davor. Von seiner Nervosität ist jetzt gar nichts mehr übrig.
Insgesamt spielen sie fast vier Stunden, bis es ihnen gelingt Pierre und Charles zu besiegen.
Der Franzose trinkt sein Bier aus und verabschiedet sich danach in sein Bett und Charles schmollt ein paar Minuten, bevor er auf dem Sofa einschläft. Max will sein Schnarchen gerne aufnehmen, um ihn bei passender Gelegenheit damit zu erpressen. Dem Monegassen ist das bestimmt endlos peinlich. Aber Lando nimmt ihm sein Telefon weg.
Lando gähnt immer wieder herzhaft und schläft an Max‘ Seite eher als, dass er das Spiel verfolgt. Genauso wie Alex, der an seine Aufgaben als Bankier zwei oder drei Mal erinnert werden muss. Aber Max und George denken nicht ans Aufhören. Sie wollen einen ganz klaren Gewinner haben. Obwohl es schon fast drei Uhr nachts ist und sie alle morgen zwischen acht und zehn ihre erste Vorlesung haben.
Für Max sieht es nicht so gut aus. George gehören die meisten Straßen und es sind fast alle voll bebaut. Vor allem die beiden Hotels auf der Park Lane und Mayfair kommen ihm dabei wie eine Bedrohung vor.
Max sieht sich schon jämmerlich verlieren. Und dann, als hätte der Spielegott Mitleid mit ihm, hat er ab diesem Moment nur noch Glück – unglaubliches, unrealistisches Glück. Aber es hilft ihm beim Gewinnen.
George kommt auf jedes von Max Feldern, muss dann ins Gefängnis und alles geht wieder von vorne los. Es ist eine unaufhaltsame Abwärtsspirale, die sich immer schneller dreht. Zuerst verliert er seine kleinen Straßen, dann die mittelguten und als er die Park Lane und Mayfair abgeben muss, ist das gleichzeitig seine wortlose Kapitulation.
Max ist vielleicht auch ein bisschen schadenfroh, als er Lando angrinst, der verschlafen lächelt und nicht wirklich so aussieht, als hätte er mitgekriegt, was gerade passiert ist.
Als Max ihn so sieht, kommt ihm eine Idee, wie er George vielleicht doch von der Ernsthaftigkeit ihrer Beziehung überzeugen kann. Und obwohl er vorhin noch gedacht hat, er würde das niemals tun, lehnt er sich jetzt vor und presst seine Lippen auf die von Lando.
Es ist so ein komisch schönes Gefühl, dass er sich verbietet weiter darüber nachzudenken. Ein kleiner Kuss unter Freunden – was ist schon dabei?
Max merkt, wie Landos Körper vor Schreck erstarrt und Max weiß, wie komisch solche Küsse von außen aussehen. Deswegen legt er seine Hände an Landos Wangen und übt für ein paar Sekunden noch ein bisschen mehr Druck aus, bevor er ihn wieder loslässt und angrinst.
Lando sieht seinen besten Freund an, als wäre er im falschen Film gelandet und dann bekommt er erdbeerrote Wangen, bevor er sich wieder abwendet und Alex dabei hilft das Spiel aufzuräumen.
Max ist ein paar Sekunden von sich selbst erschrocken, dann sorgt er dafür, dass George seine Schadenfreude zu spüren bekommt. Der Brite hat sein Bier plötzlich ganz schnell ausgetrunken und verschwindet in sein Bett.
Lando und Max trinken gemeinsam mit Alex ihre Getränke aus und unterhalten sich über das vergangene Wochenende. Alex wirft ihnen zwar hin und wieder undeutbare Blicke zu, bringt ihre Beziehung aber nicht einmal zur Sprache.
Während Max ihm dann hilft, die leeren Gläser und Flaschen in die Küche zu bringen, weckt Lando Charles. Sie haben abgemacht, den Monegassen bis zur U-Bahn zu bringen. (Also eigentlich hat Lando das bestimmt und Max mit dem Hundeblick mundtot gemacht, als dieser widersprechen wollte.)
Sie verabschieden sich von Alex und Lando muss Charles am Jackenärmel durch die Straßen ziehen, damit der nicht einfach im Stehen wieder einschläft.
Max trottet genervt hinter ihnen her, die Hände tief in den Jackentaschen vergraben. Wenigstens ist Charles so müde, dass er die Fresse hält, denkt er dabei.
Sie müssen einen Umweg laufen und Max würde Charles am liebsten einfach auf dem Gehweg zurücklassen. Weil es nieselt und wirklich kalt ist. Außerdem ist er auch müde und seine Füße fühlen sich jetzt schon an wie Blei. Wenn er daran denkt, wie weit Lando und er noch laufen müssen, wird ihm schlecht. Vielleicht sollten Sie ein Taxi rufen?
Charles verabschiedet sich unter dem rot-blau-weißen Licht der U-Bahnstation mit einer Umarmung von Lando und zeigt Max den Mittelfinger, bevor er die Treppen hinuntersteigt.
Sie warten, bis Charles nicht mehr zu sehen ist. Dann drehen sie um und machen sich auf den endgültigen Heimweg.
Lando redet genauso wenig wie Charles. Max weiß, dass er müde ist. Trotzdem ist dieses Schweigen ungewöhnlich. Und es verunsichert Max.
Max wirft seinem besten Freund einen Seitenblick zu. Lando zerkaut sich seine Unterlippe. Fehlt nicht mehr viel, dann blutet sie.
Max stößt ihn mit der Schulter an. »Was ist los? Worüber denkst du nach?«
Lando zuckt zusammen. Es dauert ein paar Sekunden, bis er sich gefangen hat und Max ansieht. Aber er redet nicht.
Max zieht eine Augenbraue hoch. »Was ist los? Du machst mir Angst!«
»Warum hast du mich vorhin geküsst? Ich dachte dafür müsste erst jemand den Weltuntergang ankündigen?«, murmelt Lando und klingt ehrlich verletzt.
Es ist so eine schreckliche Angewohnheit von Lando, dass er sich alles merkt was Max sagt, aber sich danach immer nur an die gemeinen Sachen erinnert.
Max beschließt, nicht näher darauf einzugehen. Er legt Lando einen Arm um die Schulter und zieht ihn etwas näher zu sich heran. »Küssen gehört zu einer Beziehung dazu! Du musst noch so viel lernen!« - dann lacht er.
Der Brite windet sich aus der Berührung und zeigt seinem besten Freund mit roten Wangen den Mittelfinger. Dann lachen sie beide.
* * *
Max träumt davon, dass er den Sommer auf einem Boot verbringt. Direkt vor der Küste Monacos. Auf Deck liegen, Bier trinken und die Sonne genießen. Er hält jemanden im Arm, doch bevor er das Gesicht dieser Person ausmachen kann, wacht er mit einem schrecklichen Piepsen im Ohr auf.
Der Feuermelder in der Küche schrillt durch die ganze Wohnung.
Max bekommt nach ein paar Sekunden Schockstarre sofort Panik. Er stolpert aus seinem Bett und schlittert auf nackten Füßen in die Küche.
Lando steht in einer Wolke Rauch, zwischen aufgerissenem Fenster und der Spüle, in der eine qualmende Pfanne steht.
Max weiß nicht, ob er genervt oder belustigt sein soll. Sein Kater verhindert dann wohl Letzteres.
Deswegen klingt er besonders angepisst als er rhetorisch fragt: »Was zur Hölle machst du da?«
Der Brite sieht aus wie ein Kind, dass in einem Einkaufszentrum verloren gegangen ist. Und er hat für Mitte Oktober für seine Verhältnisse verdächtig wenig an. Einen blauen unbedruckten Kapuzenpullover mit roten Kordeln (der kommt Max verdächtig bekannt vor), ausgeleierte Baumwollboxershorts und dicke Wollsocken. Eigentlich müsste er am ganzen Körper zittern. Vor allem jetzt, nachdem er das Fenster aufgerissen hat.
Lando schiebt die Zungenspitze in den Mundwinkel. »Ich wollte Rührei zum Frühstück machen.« - er zuckt mit den Schultern - »Ist wohl schiefgegangen.«
»Ach sag‘ bloß!« - Max verdreht die Augen - »Seit wann stellst du dich freiwillig an den Herd?«
Jetzt legt sich ein leichter Rotschimmer auf Landos Wangen und Max kommt der Gedanken, dass so viel rot werden nicht gesund sein kann.
»Ich wollte dir Frühstück machen. So als Dankeschön fürs Mitspielen«, gesteht der Brite und Max kann schwören, dass Landos Wangen noch eine Nuance dunkler werden.
Obwohl Max etwas komisch an der ganzen Situation vorkommt, macht sein Herz trotzdem einen Hüpfer. Ihm hat noch nie jemand Frühstück gemacht, egal zu welchem Anlass. Zuhause gab es Küchenpersonal dafür und seine Freundinnen später, waren in der Küche genau so wenig zu gebrauchen wie Lando. Und für Lando bedeutet Frühstück machen normalerweise, die Milch und das Müsli auf der Theke stehen zu lassen, damit Max es wegräumt, nachdem er es selbst benutzt hat. Das hat aber nichts mit Nettigkeiten, sondern mit Faulheit zu tun. Also zählt das nicht.
Max‘ Kater rückt in den Hintergrund. Ein Lächeln schafft es sogar, sein Gesicht aufzuhellen.
»Nette Idee, aber an der Umsetzung musst du noch arbeiten! Der Feuermelder ist kein schöner Wecker!« - Gemeinheiten verlassen seinen Mund trotzdem.
Lando zeigt ihm den Mittelfinger und schließt das Fenster wieder.
Max wirft einen kurzen Blick auf die Uhr. Plötzlich ist ihm der Feuermelder als Wecker ganz recht.
»Scheiße ist es spät!«, murmelt er. »Holen wir uns unterwegs was zu essen? Wir müssen los, wenn wir nicht zu spät kommen wollen!«
»Lädst du mich ein?«, entgegnet Lando.
Max ist verwirrt. »Wolltest du mir nicht eigentlich ein Dankeschön geben?«
Lando sagt im Vorbeigehen gehässig: »Mach ich doch: Ich lass mich draußen mit dir blicken!«
Dann schließt er sich im Badezimmer ein, bevor Max ihm in den Arsch treten kann.
